darktaxa-project: interview, published in catalogue group-exhibition Expect the Unexpected, Kunstmuseum Bonn, 2-2023

Fabian Hesse und Mitra Wakil, Fragen an darktaxa-project/Philipp Goldbach, Michael Reisch, per E-mail 11-2022

for: darktaxa-project at group-exhibition Expect the Unexpected, Kunstmuseum Bonn, 3-2023, catalogue

 

FH & MW: {Was ist darktaxa?} Bereits seit den 2010er Jahren versucht mensch durch Begriffe wie Post-Photography oder später  Synthetic Media Phänomene zu definieren, die kaum zu fassen sind und sich über verschiedene Beschleunigungsmomente und Entwicklungsschleifen immer wieder entziehen - wie kommt ihr hier zum Begriff darktaxa?

dxp: darktaxa steht metaphorisch genau für den von Euch als „kaum zu fassen“ beschriebenen Phänomen-Bereich der erweiterten Fotografie und der neuen fotografiebasierten digitalen Arbeitsweisen in einer offenen, nicht definierten Situation: „darktaxa ist ein Begriff, der aus der Taxonomie entlehnt ist, er bezeichnet dort Tiere, die existieren aber noch keinen Namen haben bzw. keiner Art zugeordnet worden sind“, siehe auch darktaxa-project.net.

 

FH & MW: In welchem Zusammenhang steht das zu eurer künstlerischen Arbeit und Forschung, wie kommt ihr zu eurer Haltung?

dxp: Die beschleunigten technologischen Entwicklungen der letzte zwei bis drei Jahrzehnte haben, wir sind alle sind Zeugen davon, nicht nur zu anhaltenden Dauerkrisen der Fotografie, sondern weit darüber hinaus zu einem tiefgreifenden kulturellen Wandel geführt. Das beinhaltet das gesellschaftspolitische Umfeld in seiner Wirkung auf die individuellen Akteure, genau wie auf unsere Wahrnehmung, unsere komplette subjektive und kognitive Verfasstheit, das betrifft uns alle sehr existenziell. Angesichts dieser unzähligen neuen Fragestellungen versuchen wir, künstlerische Vorgehensweisen und Strategien zu entwickeln, die die fortschreitende digitale Transformation reflektieren. Dabei gehen wir experimentell-produktiv vor, wir arbeiten mit neuen digitalen Verfahren wie z.B. Machine Learning/Künstlicher Intelligenz, Photogrammetrie, 3D-Scanning, 3D-Druck etc., und versuchen, dieses neue Potenzial zu erkunden, aber wir agieren gleichzeitig medienreflexiv. Die theoretische Auseinandersetzung und Befragung spielt in unserem Projekt eine große Rolle. Die meisten Beteiligten kommen dabei aus der Fotografie, einige haben Malerei- oder Programmierhintergrund, es gibt verschiedene Altersstufen von „Analog“- bis „Digital Natives“.

 

FH & MW: {Was will darktaxa?} Was sind die Hauptanliegen eurer künstlerischen Auseinandersetzung, und gibt es darin weiterhin ein Selbstverständnis als “Fotograf:innen”?

 

dxp: Die Gründungsidee von darktaxa-project war es nicht nur, die Kräfte der bis dato Einzelkämpfer*innen zu bündeln, sondern auch, diesen ungeklärten, neuen Bereich der „Fotografie“ an der Schnittstelle mit digitalen Arbeitsweisen schrittweise etwas einzugrenzen und besser zu verstehen. Wo fängt dieser Bereich, an, wo hört er auf? Wir sind keine Dokumentarfotograf*innen, aber wir bewegen uns auch nicht einfach unspezifisch im postdigitalen Umfeld. Das „Fotografische“ spielt für  uns eine zentrale Rolle. Dabei ergeben sich für uns als Künstler*innen auch Fragen zur eigenen Identität, „Müssen Fotograf*innen in Zukunft Programmierer*innen sein?“ steht beispielsweise in unserem noManifesto, ohne dass es darauf bereits eine Antwort gibt. Wir wollen das Fotografische mit den neuen digitalen bildgebenden Verfahren unter zeitgenössischen Bedingungen ausloten, neu gestalten, im Idealfall prototypische künstlerische Arbeitsweisen entwickeln und so zu einem neuen Verständnis und Selbstverständnis kommen.

 

FH & MW: FH & MW: {Und Wie?} Wie seht ihr eure practice im Verhältnis zu benachbarten Bereichen, die z.B. Fragestellungen der Fotografie als dokumentarisch/abbildender Praxis betreffen - was wird formuliert, und was sind eure Tools dafür?

 

dxp: Da gibt es keine hundertprozentig scharfe Trennlinie für uns. Sehr oft verwenden wir hybride Arbeitsweisen. In unseren jeweiligen Prozessen werden digital-algorithmische, wie auch dokumentarisch-aufzeichnende Arbeitsschritte verwendet und übereinandergelegt, was sich meist aus konzeptuellen Erwägungen ergibt. Aus unserer Sicht geht es momentan in der Fotografie unter anderem darum, neue Verständnismodelle für sie zu finden. Wie sollen bspw. dokumentarisch-aufzeichnende Bilder mit generativ-fotografischen Bildern unter einer Überschrift zusammengehen? Dazu kommen synthetisch erzeugte Bilder, die  Fotografie in allen Spielarten simulieren: Dokument und faktenbasierter Darstellung treffen auf Künstliche Intelligenz, Machine Learning und CGI, Wahrheitsanspruch und Abbildtreue treffen auf fotorealistische Renderings, Simulation und digitale Fakes. Da finden sich Bilder, die manchmal als Fotografie im traditionellen, klassischen Sinne bezeichnet werden können, aber manchmal nur noch so aussehen, und tatsächlich etwas gänzlich anderes sind und also auch ganz anders gelesen und bewertet werden müssen. Die Wahrheit-Fake-Thematik spielt übrigens in den Kontexten der klassischen Dokumentarfotografie wie z.B. dem Bildjournalismus eine essentielle Rolle, so dass es hier durchaus Schnittmengen und Parallelen zum Interessenfeld von darktaxa-project gibt.

 

FH & MW: Wie würdet ihr den Zusammenhang und euer Selbstverständnis beschreiben, seht ihr euch beispielsweise als Kollektiv, Netzwerk, Gruppe, Label...?

 

dxp: darktaxa-project ist eine von uns Künstler*innen betriebene Arbeits- und Diskursplattform. Alle Beteiligten haben individuelle künstlerische Positionen und Herangehensweisen, die aber fotografiebasiert sind, oder sich konzeptuell mit Fotografie auseinandersetzen. Der Spirit ist also pluralistisch, aber wir treffen uns erstaunlich deckungsgleich in oben genannten  Fragestellungen zum Digitalen, die wir teilen. Es gibt dabei einen aktiven Kern, der darktaxa-project durchaus als Gruppe versteht, eine engere soziale Interaktion betreibt und die gemeinsamen Projekte, Ausstellungen etc. konzipiert. Dabei einen Diskursraum herauszuschälen, der nicht nur theoretisch existiert, sondern der auch in  künstlerischen Arbeiten, in den gemeinsamen Ausstellungen und Publikationen erprobt wird, ist eines unserer Anliegen. Wir verstehen uns aber nicht als einstimmiges Kollektiv, wir streben kein kohärentes formal-ästhetisches Programm, dogmatische Theoriebildung oder Ähnliches an. Vielmehr versuchen wir z.B. in unseren bisherigen Gemeinschaftsarbeiten noManifesto, noPublication, und noAutopole, den Diskurs untereinander selbst zur Aussage zu machen, ihn in eine vielstimmige künstlerische Form zu bringen und so im Idealfall eine neuartige, digital geprägte (darktaxa-) Frequenz zu erzeugen, ein gemeinschaftliches künstlerisches Momentum.

 

FH & MW: Welche Rolle spielen, eurer Meinung nach, Produktionsbedingungen in der post-fotografischen Praxis?

 

dxp: Wichtig ist hier zu sagen, dass wir als Künstler*innen, anders als seinerzeit Daguerre, nicht mehr in einem sehr begrenzten Feld praktischen und theoretischen Grundlagenwissens als Entwickler agieren. Wir müssen vor allem auf das reagieren, was die Tech-Industrie mit ihrer ganzen ökonomischen Potenz derzeit produziert, und zum Teil in großer Menge auf den Markt wirft. Dabei sind für uns zwei unterschiedliche Aspekte wichtig: durch die hochbeschleunigten technologischen Entwicklungen der letzten zwei bis drei Dekaden haben sich für uns als Künstler*innen und Fotograf*innen einerseits zahlreiche neue bildnerische Möglichkeiten ergeben, an die sich man in den analogen 1980ern nicht mal im Traum vorgestellt hätte, das ist etwas sehr Positives. Andererseits sehen wir die Entwicklungen in einem größeren Zusammenhang auch sehr kritisch. Zum Beispiel wird über die Hermetik der digitalen Devices und das Machtgefälle der Tech-Companies mit ihren Ingenieur*innen zu uns allen als User/Consumer*innen viel gesprochen in der Gruppe. Das Thematisieren bzw. kritische Hinterfragen und Offenlegen der digitalen Tools und ihrer Funktionsweisen ist ein wichtiger Teil des Projekts. Unsere künstlerischen Vorgehensweisen sollen, so hoffen wir, auch die eher verborgenen Aspekte digitaler Prozesse exemplarisch sichtbar und verstehbar machen. Wichtig ist uns in dem Zusammenhang zu erwähnen, dass die fotografiebasierten digitalen Tools gesellschaftspolitisch eine Schlüsselstellung innehaben und zukünftig weiter einnehmen werden, blickt man beispielsweise auf staatlich installierte Überwachungstechnologien und Überwachungskapitalismus in globaler Dimension. Durch u.a. Gesichtserkennung in jedem SmartPhone dringen diese Technologien  tief in unsere Privatsphäre ein, sie sind sehr nahe an uns dran und gleichzeitig ungemein mächtig auf globaler Ebene. Es ist in dem Sinne wichtig, die postfotografischen Produktionsbedingungen und die fotografiebasierten digitalen Werkzeuge auch als Teil weitreichender geopolitischer und hyperkapitalistischer Machtstrukturen zu verstehen, in diesem Bewusstsein arbeiten wir. Dennoch betreiben die meisten von uns kein Artistic Research im Sinne investigativer Strategien oder einer direkt aktivistischen Kunst. Es geht vielmehr auf übergeordneter Ebene darum, was sich aus dem neuen Zusammenwirken von Mensch und Maschine momentan entwickelt, und wie sich das im Klima eines technisierten Lebensgefühls und einer technisierten Erfahrungswelt künstlerisch verarbeiten und ausdrücken läßt. Bildnerischer Gestaltungswille und individuelle Werkformen sind uns dabei genauso wichtig, wie die oben erwähnten medienreflexive Prozesse und Fragestellungen, das kritische Offenlegen, der Blick in den Maschinenraum sozusagen. Ein Leitmotiv, das sich in den Vorgehensweisen fast aller darktaxa- Künstler*innen  zieht, ist die (Frage nach der ) Interaktion mit dem Apparat, der Maschine, den Algorithmen im Sinne einer wechselseitigen Beziehung und Einflussnahme.

 

FH & MW: Wie können nicht-menschenzentrierte und post-humanistische Perspektiven für den Planeten/ Gaia in den Blick genommen werden?

 

dxp: Um die ökologische Krise zu begreifen, sollten wir nach Bruno Latour (den ihr ja mit dem Begriff „Gaia“ ansprecht) und einigen anderen, zunächst verstehen, dass es keine Natur gibt, von der sich die Menschenwelt absetzt, um nach ihren eigenen Regeln funktionieren zu können. An die Stelle des Begriffspaars von Natur und Kultur, von denen letzterer Begriff traditionell Technik einschloß, müsste vielmehr eine Sicht treten, die es uns erlaubt, das Zusammenspiel der zahllosen Dinge und Lebewesen, der menschlichen und der nicht-menschlichen Akteure jenseits dieser Unterscheidungen zu fassen. Sie alle bilden ein kompliziertes Netzwerk in einem gemeinsamen Lebensraum, dem sie ihre Existenz verdanken und in dem jeder jeden beeinflusst - eben Gaia oder der Planet. Die Erneuerung unseres Blicks auf die Erde, die wir zu kennen glaubten, sie unter den Vorzeichen der ökologische Krise aus einer nicht-menschenzentrierten und post-humanistischen Perspektive, neu zu entdecken und zusammenzusetzen, ist eine der zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit. Technologie spielt dabei in mehrerlei Hinsicht eine entscheidende Rolle: Sie ist Teil des Problems und möglicher Lösungswege. In unserer noPublication haben wir uns vor allem mit der „Technosphäre“ auseinandergesetzt, ein Begriff, den der Geologe Peter Haff ins Spiel gebracht hat. Er beschreibt, dass Technologien nicht länger nur Mittel sind, um die Welt wahrzunehmen und zu bearbeiten, sondern selbst auf einer geologischen Skala umweltlich werden - zu einem System, das der „natürlichen“ physikalischen Umwelt gleichgestellt ist, mit ihr interagiert und in das wir alle eingebettet sind.

In unseren Arbeiten geht es ja stark um die Auseinandersetzung mit Technologie, das experimentelle Austesten von verschiedenen Arten und Weisen der Interaktion mit Technik und die Entscheidungs- und Handlungspotenziale, die mit damit verknüpft sind: Hier kann künstlerische Produktion und künstlerisches Handeln Modell sein bzw. neue Perspektiven öffnen. Wie lässt sich diese Beziehung gestalten - im größeren Rahmen eben auch sinnvoll und nachhaltig in Hinblick auf eine funktionierende Technosphäre? Es liegt letztlich in der Handlungsmacht jedes und jeder einzelnen, übrigens auch in der Fähigkeit zum Verzicht auf bestimmte Werkformen und Arten von Produktion. Klar ist: Wenn Technologie eine Rolle als erstzunehmende Handlungsmacht jenseits des anthropozentrischen Weltbildes zukommen soll, so wird das auch unsere Partikularinteressen begrenzen. Wir sind in einer entscheidenden Phase: Deshalb ist es so wichtig, einen Perspektivwechsel einzuüben.

 

FH & MW: Wo seht ihr Anknüpfungspunkte für eine produktive Rolle von Übersetzungsleistungen des Digitalen in der post-kolonialen Situation?

 

dxp: Die Fotografie hat für den Kolonialismus eine aus heutiger Sicht oft zwiespältige Rolle als Dienstleisterin und Erfüllungsgehilfin gespielt. Bemerkenswerterweise wiederholt sich das teilweise in der erweiterten Fotografie in Zeiten post-kolonialer Diskurse. So stehen Kategorisierung und Klassifizierung momentan  im Fokus zahlreicher Diskussionen zu Künstlicher Intelligenz und deren Datasets (also den Trainingsdatensätzen für Machine Learning), weil bestehende Urteile und Vorurteile (Bias), z.B. rassistischer Art, durch fotografisch-algorithmische Systeme weiter transportiert werden können. Problematisch ist dabei die Objektivierung durch Algorithmen und KI, deren scheinbarewissenschaftlich-mathematische Unbezweifelbarkeit, denn tatsächlich werden in der Anwendung von KI oft die subjektiv-menschlichen Urteile und Vorurteile ihrer Programmierer*innen reproduziert und verstärkt. Bestehende Machtverhältnisse manifestieren sich so durch den Einsatz pseudo-objektiver digitaler Tools und Algorithmen. Eine ähnlich pseudo-objektivierende Funktion könnte man der chemisch-analogen Fotografie, wie gesagt, als Gehilfin zur Manifestierung von Klassendenken und kolonialen Strukturen zuschreiben, das ist eine interessante Parallele. Um diese Sachverhalte im Falle von KI überhaupt erst einmal technisch verstehen und danach kritisch bewerten zu können, ist es aus unserer Sicht aktuell dringend nötig, die Funktionsweisen, die Reichweite und die Macht der neuen Technologien zu begreifen, einige sind ja erst wenige Jahre in Gebrauch. Das ist Teil der Arbeit der beteiligten Künstler*innen und des darktaxa-projects - ein aufklärerischer Impuls (Anna Ridler z.B. hat in dieser Hinsicht mehrere sehr faszinierende und aufschlussreiche Arbeiten gemacht, die sich mit KI, Datasets und Kategorisierung beschäftigen, auch in unserer noPublication gibt es einige Seiten zum Thema). Die "fotografischen Gene" der neuen digitalen Werkzeuge treten an dieser Stelle jedenfalls deutlich zu Tage, ebenso wie die Macht des alten und neuen, erweiterten Mediums.

 

FH & MW: Welche Zukunft? - und was macht Fotografie und Synthetic Media auf diesem Weg?

 

dxp: Wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklungen, und dürfen live dabei sein, das ist spannend und zugleich eine Herausforderung. Was sich abzeichnet ist, dass alle Kontexte und Mikrokontexte, alle genannten unterschiedlichen fotografischen und fotografiebasierten Praktiken, ob mit dokumentarischer Absicht oder als Fake konzipiert, ob als CGI oder Produkt von Machine Learning, im Prinzip jeweils separat, wie auch in ihrem Zusammenspiel untersucht und sehr differenziert betrachtet werden müssen. Ob das zu einer funktionierenden Synthese unter dem Oberbegriff „Fotografie“ führen kann, ist dabei völlig offen und letztlich zweitrangig. Wichtig ist vielmehr ein neues praktisches wie theoretisches Verständnis dieser komplexen Bereiche.