darktaxa-project: interview Perisphere-Blog, Florian Kuhlmann – Michael Reisch
Link:
http://www.perisphere.de/2019/06/photon-icon-start-des-darktaxa-projekts/
Installation-View Photon | Icon Falko Alexander Gallery May 2019
FK: Was war der Anlass der Ausstellung? Wie kam es zu dem Projekt?
MR: Das Ganze nennt sich darktaxa-Projekt, und die Ausstellung Photon | Icon ist offizieller Start dieser größer angelegten Sache, siehe auch darktaxa-project.net im Netz. Dort bringe ich befreundete aber auch eigens angefragte KünstlerInnen, sowie TheoretikerInnen, Galerien und Institutionen zusammen, die sich genau wie ich im Bereich Digital Imaging und „Fotografie“ bewegen oder sich dafür interessieren. Ich habe Falko Alexander dann einen Vorschlag für eine gemeinsam kuratierte Ausstellung gemacht, die im Mai 2019 realisiert worden ist.
FK: Wieso machst Du das gerade zum jetzigen Zeitpunkt?
MR: Zur Motivation muss man sagen, dass es aus meiner Sicht auf diesem Gebiet, obwohl es hochaktuell ist, eine Art von signifikanter Leerstelle gibt. Auf theoretischer Seite ist zwar sehr viel Erhellendes über diese Schnittstelle „Fotografie“ – Digitalität gesagt worden, jedoch geht es da sehr oft um „Fotografie“ im allgemeinen Gebrauch. Gleichzeitig sind auf KünstlerInnenseite eine bemerkenswerte Anzahl konzentrierter und substanzieller Werkkomplexe zur Digital-Imaging – „Fotografie“-Thematik entstanden, und niemand scheint genau zu wissen, wie damit umgegangen werden soll. Das wird nicht als „Fotografie“ gesehen, da es diese Diskurse auf dem jetzigen Stand sprengt. In die „post-digital“-Schublade passt es irgendwie rein, aber auch nicht so 100-prozentig; ja was ist es dann und wo ist der Platz dafür?
FK: Und wie beurteilst du das?
MR: Ich sehe das ganz positiv, denn das alles deutet darauf hin, dass etwas Neues im Gange ist; etwas, das sich nicht gleich kategorisieren oder auf Bestehendes rückführen lässt. Die Sache liegt momentan in der Luft, ist bis dato aus meiner Sicht nur noch nicht in eine Form gebracht worden, unser Projekt bzw. unsere Ausstellungsreihe will das ändern.
FK: Das Verhältnis von Bild zu Technologie ist eins der zentralen Themen der Show, wie ist deine Haltung dazu?
MR: Ja, es geht unter anderem um die Fragestellung des Bildes als Bild-Objekt, als materiale Erscheinung. Da im Digitalen, von dem wir alle umgeben und komplett absorbiert sind, fast alles Bild und zwar immaterielles Bild ist, könnte man sich fragen, ob wir „Bild-Objekte“ überhaupt noch brauchen, siehe Digitalisierung z.B. analoger Dia-Fotoarchive. Im Bereich der Kunst ist das allerdings eine völlig andere Sache, und die künstlerische Praxis steht dem in großen Teilen diametral gegenüber, oder zumindest scheinen sich 2 Lager zu entwickeln.
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FK: Kannst Du das näher erläutern? Welche Lager meinst du genau?
MR: Es gibt gerade eine Menge interessante Arbeiten, die im obigen Sinn auf eine physische Erscheinung von Kunstwerken verzichten, z.B. VR- oder Netz-Arbeiten. Auf der anderen Seite arbeiten sehr viele der KünstlerInnen, die ich kenne und die sich in dem Bereich bewegen, gerade konsequent und bewusst auf eine materiale Erscheinung ihrer Arbeiten hin, bzw. lassen ihre Produktionskette in einem realen, physischen Bild-Objekt enden. Aus meiner Sicht ist das u.a. auch eine Reaktion auf die immersiven Aspekte des Digitalen, also die Auflösung des Körpers und des realen Raums, die Gleichsetzung von Illusion und Realität im Virtuellen.
In unserer Ausstellung hier gibt es in jeder Arbeit eine Entscheidung für den physischen Raum, für den realen menschlichen Körper in einem realen, physischen Erfahrungsraum vor einem realen, physischen Bild- Objekt. Oder mit anderen Worten, es geht um Verortung des eigenen, realen Körpers im realen Raum im Hinblick auf Digitalität, das ist grundsätzlich etwas Anderes als Immersion.
FK: Welchen weiteren Fragestellungen wolltet ihr nachgehen? Gibt es so etwas wie eine Ausgangsthese?
MR: Das Ganze ist als experimentelles Setting gedacht, als offene Situation. Die versammelten Arbeiten kommen alle aus unterschiedlichen Richtungen und Ansätzen, wobei dann nicht ästhetische Gemeinsamkeiten, sondern gemeinsame Fragestellungen das Ganze verbinden, das Digitale steht als Überschrift über dem Ganzen.
FK: Kannst Du diese gemeinsamen Fragen mal genauer benennen?
MR: Aus meiner Sicht kristallisiert sich unter anderem die Frage nach dem Raum, bzw. unserem zeitgenössischen, digital überformten Verständnis von Raum heraus. Ganz zentral stehen auch die Fragen nach Materialität bzw. Nicht-Materialität, nach anwesend – abwesend, virtuell – materiell, materiell – immateriell, real – simuliert, etc., wobei vor allem die Übergänge interessant sind. Und wie schon gesagt, die Frage nach dem Körper bzw. dem aufgelösten Körper ist wichtig, das hängt alles zusammen und es sind letztlich Wahrnehmungsfragen, die sich unter digitalen Bedingungen herausgestellt haben.
Aber auch die Frage nach einer sinnvollen künstlerischen Strategie, nach einer Haltung im Angesicht des „Digital Dominant“ steht zur Diskussion, wie kann man denn als KünstlerIn überhaupt sinnvoll agieren? Mit einer Low-Tech-Schreibmaschine wie Arno Beck, also mit einer Art Verweigerungshaltung? Mit subversivem Google-Hacking wie Achim Mohné? Oder mit High-Tech-Photogrammetrie und High-End-Software wie Beate Gütschow, bewusst auf technischer „Augenhöhe“ mit den Entwicklungen? Jede künstlerische Position in der Ausstellung hat da eine ganz eigene Herangehensweise.
FK: Wie steht das mit der „Fotografie“ in Zusammenhang? Braucht man die „Fotografie“ eigentlich noch?
MR: Die „Fotografie“ ist die gemeinsame historische Basis oder Matrix, auf der sich die neuen digitalen Tools entwickeln. Die neuen Anwendungen und Apps, z.B. Google Earth oder Augmented Reality sind ja Visualisierungen und „fotografisch“ determiniert, sie unterliegen u.a. „fotografischen“ Sehmodellen, siehe oben genannte Vorstellungen vom perspektivischen Raum, etc. Das soll heißen, wir behaupten in der Ausstellung nicht, dass die gezeigten Werke „Fotografie“ sind, auch nicht „Extended Photography“ oder ähnliches, sondern wir zeigen, und das ist sehr offen gemeint, Digital Imaging unter „fotografischen“ Gesichtspunkten.
FK: Wie ist deine eigene Einschätzung zur „Fotografie“, zum Medium?
MR: Als Künstler gesprochen ist der Begriff „Fotografie“, und damit meine ich nicht die „fotografische“ Produktion, sondern ausschließlich die Terminologie, aktuell leider eher eine Geschwindigkeitsbegrenzung, eine Bremse. Der Begriff „Fotografie“ ist unter digitalen Vorzeichen hoffnungslos überfordert, das begrenzt die Vision und das Denken. Und es tut weder der „Fotografie“ gut, da der Begriff zunehmend verwässert und sinnlos wird, noch den Arbeiten, die so bezeichnet bzw. gleich „gefangengenommen“ werden; und die in Wahrheit eventuell ganz etwas Neues sind: noch ohne Kategorie, „dark taxa“ eben – zur Erläuterung, dark taxa ist aus der Taxonomie entlehnt und bezeichnet Tiere, die existieren, aber noch keinen Namen haben bzw. noch keiner Art zugeordnet worden sind.
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FK: Wie bist du damit in der Ausstellung umgegangen?
MR: Diese Überforderung wollten wir in unserer Ausstellung explizit vermeiden, wir wollten vielmehr schauen, was sich denn einstellt, was sich gerade eventuell grundlegend Neues ergibt, und ob und inwieweit sich das verselbstständigen könnte in der nahen Zukunft; also eher eine Suche nach Möglichkeiten, Visionen, nach neuen Entwicklungen. Die Digitalisierung war ein revolutionärer, klarer Bruch, und alles was jetzt geschieht muss dahingehend überprüft werden, ob sich eine Traditionslinie fortsetzt oder eine neue eröffnet, das ist eine sehr spannende und offene Situation momentan. Ob man die „Fotografie“ als Begriff dann noch braucht oder nicht, wird sich herausstellen.
FK: Brauchen wir eventuell neue Sprache und neue Begriffe um diese Theoriebildung auf Basis des Fotografischen weiter voran zu treiben?'
MR: Ja, das wäre gut. „Fotografie“ ist Terminologie, die bei Daguerre und in den 1980ern funktioniert hat und erhellend war, unter digitalen Bedingungen macht das wenig bzw. keinen Sinn, wie gesagt, zumindest als Oberbegriff. Vielleicht wäre es sinnvoller, zu schauen was vor sich geht und dann dafür einleuchtende Begriffe zu finden, etwas mit kybernetisch, algorithmisch, digital etc. ginge in diese Richtung. Den Begriff Post-Photography finde ich persönlich sehr gut, aber er umgeht das Problem, wir sind außerdem genauso „prä-irgendetwas-ohne-Namen“ wie „post-fotografisch“, irgendwann muss man mal einen Versuch wagen. Möglich ist aber natürlich auch, dass es im allgemeinen Sprachgebrauch bei „Fotografie“ bleibt, obschon alle wissen, dass der Begriff nicht mehr passt.
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FK: Und Digital Imaging?
MR: Digital Imaging ist sehr allgemein, aber im Gegensatz zu „Fotografie“ zumindest zutreffend, und von dort aus könnte bzw. müsste man weiter ausdifferenzieren. Aber wie gesagt, wir reden hier nur über Worte, nicht über die Tätigkeiten des „Fotografierens“, des „Digital Imagings“ bzw. des „prä-irgendetwas-ohne-Namen-tuns“, die sind in sich völlig frei natürlich, wahrscheinlich so frei wie niemals zuvor, mit all den neuen technischen Möglichkeiten. Da man sich allerdings auf nichts mehr, was vorher über viele Jahrzehnte funktioniert hat, verlassen kann – die Gesetze oder Konventionen der „Fotografie“ sind eben ausgehebelt – und sich auf völlig neues Gebiet begibt, muss man sich etwas tiefgreifend Neues einfallen lassen, um die Situation in den Griff zu bekommen, sowohl auf KünstlerInnenseite als auch auf Seiten der Rezeption. Ich sehe das persönlich als positive Herausforderung, und wir stehen aus meiner Sicht erst am Anfang dieser Entwicklungen, vielleicht haben wir ja in einigen Jahrzehnten schon eigene Traditionslinien und Diskurse für CGI oder Photogrammetrie, oder wir stellen fest dass sich weiterhin alles mit allem mischt, wie momentan zu beobachten, auch das wird sich zeigen.
FK: Hast du das Gefühl, mit der Ausstellung bei diesen untersuchten Fragestellungen weiter gekommen zu sein?
MR: Auf jeden Fall, die allermeisten BesucherInnen, und damit meine ich solche ohne Vorkenntnisse genau wie top-up-to-date-diskursbewanderte KuratorInnen, haben in der Ausstellung oft über Stunden mit uns diskutiert. Die in der Ausstellung gestellten Fragen betreffen uns eben alle auf einer sehr realen Ebene, sie entstehen aus unser aller täglicher Erfahrungswelt, und sie sind gleichzeitig auf einem hohen theoretischen Diskurs-Niveau verhandelbar und relevant. Man kann relativ einfach über die Entstehungsprozesse der einzelnen Arbeiten in die Ausstellung einsteigen, und kommt mithilfe der uns allen bekannten fotografischen Kategorien als eine Art von Kompass in die terra-incognita-Regionen des Digital Imaging, und von dort aus in die eigene tägliche Erfahrungsrealität des eigenen Smart-Phones, des eigenen alltäglichen Digital-Overloads, etc.
FK: Wird es mit dem Projekt weitergehen? Falls ja, was sind die nächsten Schritte?
MR: darktaxa wird auf unterschiedlichen Ebenen, in jeweils anderen Konstellationen und mit verlagerten Schwerpunkten fortgesetzt, die Ausstellung Photon | Icon war der Auftakt dazu. Wir arbeiten z.B. momentan auf KünstlerInnenseite an Texten, Interviews etc., also neben der künstlerischen Arbeit auch theoretisch, es bildet sich eine Art von KünstlerInnengruppe heraus, was mich sehr freut, also die Sache formiert sich vielversprechend. Im Februar 2020 haben wir eine Ausstellungs-Kooperation mit Schierke Seinecke in Frankfurt auf dem Programm, weitere experimentelle Stationen sind in Planung. 2021 wollen wir die Fäden zusammenführen, da wird es auf institutioneller Ebene weitergehen. Ziel der Sache ist es, wie gesagt, die Leute, die sich in dem Bereich engagieren und arbeiten, zu vernetzen und Synergien zu schaffen, aber ganz klar mit inhaltlicher, fundierter Ausrichtung. Ich hoffe, dass sich so im Laufe des Projekts die Konturen dieser neuen Sache auf mehreren Ebenen gut herausbilden können, das zumindest ist der Plan. All das wird bald auch zu sehen sein auf der Website darktaxa-project.net.
Florian Kuhlmann, Michael Reisch, Juni 2019
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